Trotz Bestandskraft des Ursprungsbescheids: Methodische Fehler im Verlängerungsverfahren überprüfbar
Trotz Bestandskraft des Ursprungsbescheids: Methodische Fehler im Verlängerungsverfahren überprüfbar
Trotz Bestandskraft des Ursprungsbescheids: Methodische Fehler im Verlängerungsverfahren überprüfbar
- Kategorie: Immissionsrecht
Auch eine Anlagengenehmigung, die inzwischen bestandskräftig geworden ist, kann im Rahmen einer kursorischen Prüfung in einem Verlängerungsverfahren (§ 18 Abs. 3 BImSchG) (erneut) überprüft werden. Das entschied das BVerwG am 21.01.2021 (Az. 7 C 9.19). Dies soll dann möglich sein, wenn ein methodischer Fehler im ursprünglichen Genehmigungsverfahren auf die Prüfung fortwirkt – aber nur unter bestimmten Voraussetzungen.
Im konkreten Fall hatte eine anerkannte Umweltschutzvereinigung den immissionsschutzrechtlichen Verlängerungsbescheid für die Errichtung und den Betrieb einer Hähnchenmastanlage angefochten. Dem Mastbetrieb war die Genehmigung für die Anlage erteilt worden, unter der Voraussetzung, dass die Anlage innerhalb von 12 Monaten nach Bekanntgabe der Genehmigung errichtet und innerhalb weiterer 24 Monate in Betrieb genommen würde. Etwa ein halbes Jahr später legte der Antragsteller geplante Änderungen für die Anlage offen, welche erneut genehmigt wurden, wobei auch die Frist zur Anlagenerrichtung und -inbetriebnahme mit Bescheid verlängert wurde.
Der Streit
Gegen diesen Verlängerungsbescheid ging die Umweltschutzvereinigung vor. Sie argumentierte, dieser sei rechtswidrig, da er sich u.a. auf Annahmen der Erstgenehmigung beziehe, die bereits dort rechtlich fehlerhaft seien. Der Mastbetrieb und die bescheidende Behörde sahen das anders: Die „Erstgenehmigung“ könne im Verlängerungsverfahren gar nicht noch einmal auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden, weil sie inzwischen bestandskräftig geworden sei. Das Verlängerungsverfahren diene außerdem lediglich dazu, zu überprüfen, was sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht geändert hat, seitdem die ursprüngliche Genehmigung erteilt worden ist. Etwaige Fehler könnten außerdem ohnehin in einem ergänzenden Verfahren geheilt werden.Keine generelle Prüfung der ursprünglichen Genehmigungsvoraussetzungen
Das Bundesverwaltungsgericht entschied: Im Rahmen der Verlängerungsentscheidung könne sehr wohl auch über Genehmigungsvoraussetzungen entschieden werden, welche bereits früher – d.h. in der ursprünglichen Genehmigung – hätten gerügt werden können. Allerdings – so das Gericht – würde es den Rahmen sprengen, wenn der Umfang der lediglich kursorischen Prüfung generell auf alle (ursprünglichen) Genehmigungsvoraussetzungen ausgeweitet würde. Jedenfalls dann, wenn die genehmigte Anlage nach Lage, Beschaffenheit und Betrieb unverändert ist und sich im Zeitpunkt der Verlängerungsentscheidung auch die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse nicht verändert haben. Andernfalls käme dies nämlich einem zweiten Genehmigungsverfahren gleich, so das Bundesverwaltungsgericht.Methodische Fehler im ursprünglichen Genehmigungsverfahren sollen sich nicht im Verlängerungsfahren fortsetzen
Da aber im vorliegenden Fall die geplanten Änderungen von der ursprünglichen Anlage nach Lage, Beschaffenheit und Betriebsweise erkennbar abwichen, sei hier auch zu überprüfen, ob die Werte, die bereits im ursprünglichen Anlagengenehmigungsverfahren herangezogen worden sind – und auf die sich auch das Verlängerungsvorhaben stützte – fehlerfrei ermittelt worden sind, stellte das Gericht klar. Andernfalls würde sich in einem solchen Fall ein methodischer Fehler im ursprünglichen Genehmigungs- auch im Verlängerungsverfahren fortsetzen und sich dort (ebenfalls) auf die Prüfung auswirken, ob der Zweck des Gesetzes durch eine Verlängerung gefährdet wird.Entscheidung ist mit Europarecht vereinbar
Das Bundesverwaltungsgericht stellte bei seiner Entscheidung auch auf das Urteil des EuGH vom 09.09.2020 (Az. C 254/19) ab. Auch der Europäische Gerichtshof betone in seiner Entscheidung, dass es der zuständigen Behörde obliege zu beurteilen, ob eine Entscheidung mit der die ursprünglich gesetzte Frist für die Durchführung eines Projekts verlängert wird, einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist und wie weit diese zu erfolgen habe: auf das gesamt Projekt oder nur einen Teil.Fehlerheilung im ergänzenden Verfahren möglich
Das Gericht stellte aber auch klar, dass zumindest nicht auszuschließen sei, entsprechend entdeckte Fehler im ergänzenden Verfahren zu heilen. Für das ergänzende Verfahren und die Prüfung der Gefährdung des Gesetzeszwecks seien dann die aktuellen Verhältnisse maßgeblich und nicht die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Ablaufs der Erlöschensfrist für die Errichtung der Anlage.AMETHYST Rechtsanwälte - Tipp
Dass dieser Fall bis hin in die Revisionsinstanz vor dem Bundesverwaltungsgericht ausgefochten wurde, zeigt wie erheblich der juristische Diskussions- und Klärungsbedarf im Bereich von umweltrechtlichen Anlagengenehmigungen sein kann. Insbesondere für Laien ist es daher unumgänglich, sich umfassend und fundiert rechtlich beraten zu lassen. Wir von AMETHYST Rechtsanwälte übernehmen das gerne.
Kommentar von:

Anika Nadler
Partneranwältin bei AMETHYST Rechtsanwälte
Veröffentlicht am:
06. Januar 2022